Zeitgenössische Mutmaßung über den tatsächlichen Antrieb des Besslerschen Perpetuum mobile (1716).
Zeitgenössische Mutmaßung über den tatsächlichen Antrieb des Besslerschen Perpetuum mobile (1716).
Asche zu Asche
Jeremy Rifkin träumt von einer besseren Welt
(Süddeutsche Zeitung, 2. September 2002, Seite 16)
Die Welt geht zugrunde, soviel ist gewiss, und zwar aus einer ganzen Reihe von Gründen. Beispielsweise durch die Klimakatastrophe, ausgelöst vom Treibhauseffekt der Abgase bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe. Oder durch Fundamentalismus und Terrorismus, welche – wen wundert’s? – gerade in der Bevölkerung über den letzten verbliebenen Ölquellen in Saudi-Arabien, Irak und Iran ihre mächtigste Brutstätten haben. Aber noch vor allem übrigen müssen wir aus dem offensichtlichen Grund mit dem baldigen Ende unserer Zivilisation – so wie wir sie kennen – rechnen, dass uns schlicht die Ressourcen ausgehen.
Sämtliche bekannten Öl- und Gaslager reichen bei gleichbleibender Förderleistung nur noch ein paar Jahrzehnte. Dann ist Schluss. Alle übrigen apokalyptischen Szenarien der Menschheit sind mit dem einen oder anderen Vielleicht behaftet – ob Klimakatastrophe, Asteroideneinschlag, Seuchen oder al-Qaida –, aber dass die Energiequellen, die gegenwärtig fast ausschließlich den Energiebedarf der Industrienationen befriedigen, endlich und sehr begrenzt sind, daran gibt es keinen Zweifel. Dann gehen die Lichter aus, Wohnungen werden kalt, die Autos bleiben stehen, das Internet wird abgeschaltet. Die Zivilisation fällt zurück ins Mittelalter. Wenn keine Alternative gefunden wird.
Erfreulich, dass sich nun Jeremy Rifkin, einer der profiliertesten unter den amerikanischen Intellektuellen und Feuilletonisten, in seinem neuesten Buch gerade dieses Zukunftsproblems annimmt. Pünktlich zum Weltumweltgipfel in Johannesburg erscheint sein Beitrag. Zuletzt war die Endlichkeit der Ressourcen während der Ölkrisen der siebziger Jahre ein zentrales öffentliches Thema. Damals galten Atomkraft und die Forschung an Fusionsreaktoren als Silberstreif am Horizont – an den kostenlosen Strom für alle und in jeder Menge, gewonnen aus dem Wasserstoff der Weltmeere, durfte man als wissenschaftlich fundierte Zukunftsvision glauben. Zwischenzeitlich wurden viele Kernkraftwerke stillgelegt und viel Öl verbrannt, aber eine realistische Alternative zum fossilen Brennstoff wurde nicht gefunden. Noch bevor die „freiwilligen Vereinbarungen“ zur Reduktion der klimaschädlichen CO2-Emission ein nennenswertes Niveau erreichen werden, könnte uns schlicht der fossile Nachschub ausgehen, um noch weiter Kohlendioxidabgase in die Atmosphäre pusten zu können.
Jeremy Rifkin hat nicht nur eine rhetorisch scharfe Anklageschrift gegen die Verantwortungslosigkeit der heutigen Energiewirtschaft geschrieben, er präsentiert auch einen Alternativvorschlag. Die Lösung liegt für ihn in der Energie des Wasserstoffs. Nicht in seiner Energie bei der Kernfusion zu Helium, sondern bei der gewöhnlichen chemischen Verbrennung zu Wasser. Rifkin stellt sich eine Welt von vielen dezentralen Brennstoffzellen vor, die Wasserstoff zu Wasser verbrennen und ein demokratisches Energienetz bilden. „Wasserstoff ist das leichteste und einfachste Element im Universum. Es existiert überall und produziert keine schädlichen Kohlendioxidemission. Die ersten Brennstoffzellen auf Wasserstoffbasis werden bereits in Wohnhäusern und Büros eingesetzt. Wasserstoffbetriebene Autos, Busse und Lastwagen sind in einigen Jahren serienreif.“
Hier staunt der Laie: Überall auf der Erde findet sich zwar Wasser, also die „Asche“ der Verbrennung von Wasserstoff, aber freier Wasserstoff nirgendwo. Also woher den Treibstoff für Rifkins Brennstoffzellen nehmen? Genau: Aus dem Wasser, durch chemische Trennung. Und hier wird es wunderlich. Könnte es sein – dieses beklemmende Gefühl schleicht sich beim Lesen ein und wächst im Laufe des Buchs zu einem handfesten Erschrecken – dass Rifkin noch nie etwas von Thermodynamik und Energieerhaltung gehört hat?
Im ganzen Buch geht es holterdipolter durch die Naturwissenschaften. Energie und Leistung werden regelmäßig verwechselt, Volumen und Fläche, Geschwindigkeit und Entfernung – dies alles ist wesentlich schlimmer als ein Orthografie- oder Grammatikfehler je sein kann, aber warum achtet der Lektor nicht darauf? Oder auf offensichtliche Selbstwidersprüche: Da wird mitgeteilt, dass sich Brennstoffzellen vor allem dort rechnen, wo ein Stromkunde so abseits wohnt, dass das Stromkabel zum zentralen Kraftwerk hohe Kapitalkosten verursacht. Im nächsten Absatz wird die Vernetzung all dieser Brennstoffzellen vorausgesetzt – offenbar mit Stromkabeln.
Offensichtlich muss Wasserstoff, bevor er in Brennstoffzellen verbrannt werden kann, aus Wasser gewonnen werden. Dafür kann man Erdgas oder elektrischen Strom nehmen; aber offensichtlich ist die verwertbare Energiemenge im Wasserstoff kleiner als die, die vorher im Erdgas oder im Strom war, weil keine Energieumwandlung mit hundertprozentigem Wirkungsgrad funktioniert. Es entsteht also die Frage, warum man die Energiekrise nicht gleich mit Erdgas oder Strom beseitigt, ohne den Umweg über den Wasserstoff. Strom findet sich schließlich überall in den Steckdosen.
Das Thema ist zu ernst für Witze. Die Welt geht zugrunde und die einzigen, die ihre Stimme erheben, sind medienheischende Ignoranten. ULRICH KÜHNE
JEREMY RIFKIN: Die H2-Revolution. Wenn es kein Öl mehr gibt. Mit neuer Energie für eine gerechte Weltwirtschaft. Deutsch von Brigitte Kleidt. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2002. 304 Seiten, 25,50 Euro.